Rezensionen
Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren
wurde in der Erstauflage rezensiert von:
Rechtsanwalt Dr. Gerhard Strate / Hamburg
Die Rezension wurde in der NJW 2001, 3610 - 3611 veröffentlicht.
Schwurgerichtsverfahren sind nicht nur für den dort Angeklagten etwas Bedrohliches. Sie verlangen von allen (professionell) Beteiligten ein Höchstmaß an Kompetenz. Ihr Mangel kann für den Beschuldigten ein das weitere Lebensschicksal umstürzendes Fiasko bedeuten. Fehler in der kriminalistischen Ausdeutung eines Beweisgefüges waren in der Vergangenheit aber auch wiederholt Anlass für eine Selbstkorrektur der Justiz im Rahmen von Wiederaufnahmeverfahren, die überwiegend Schwurgerichtsverfahren betrafen. Schon geringfügige Fehler in der Interpretation eines Spurenbildes können den Wahrheitsfindungsprozess gefährden und einen Justizirrtum provozieren.
Eine qualifizierte Verteidigung ist eine entscheidende Gewähr gegen eine derartige - wie es amerikanische Juristen unübersetzbar trefflich formulieren - miscarriage of justice. Auch Stern wird an keiner Stelle seines umfassenden Werks müde, die Verantwortung des in Schwurgerichtsverfahren tätigen Verteidigers immer wieder hervorzuheben und ihr Konturen zu verleihen.
Bereits mit dem weit gefassten Titel des Buchs, der weder durch einen Untertitel noch durch vorangestellte, einleitende Bemerkungen des Verfassers eingegrenzt wird, verdeutlicht er, dass es für die Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren aus seiner Sicht eben gerade nicht ausreichen kann, ausschließlich über hervorragende Kenntnisse des formellen oder materiellen Strafrechts zu verfügen. Mit großer Formulierungskunst versteht es Stern, dem Leser seines Buches eingängig zu machen, Buchbesprechungen mit welchen Problemen rechtlicher und institutioneller sowie nicht zuletzt menschlicher Art der Verteidiger im Schwurgerichtsverfahren konfrontiert ist: Er behandelt die Grundzüge des relevanten materiellen und formellen Rechts ebenso wie die nicht nur im Kapitalstrafrecht - so bedeutsamen Disziplinen der Psychologie und Psychiatrie; auch findet der Leser komprimierte Darstellungen des für das Verständnis rechtsmedizinischer und kriminaltechnischer Gutachten erforderlichen Grundwissens. Trotz der unvermeidbaren Straffung des hierauf bezogenen Lesestoffs versteht es der Autor, auch die neuralgischen Punkte und Fehlerquellen in den einzelnen (Hilfs-) Disziplinen in den Blick zu rücken, die ein Verteidiger durch sensibles, aber immer auch nachdrückliches Vorgehen im Dienste eines umfänglichen Rechtsschutzes seines Mandanten herausarbeiten muss.
In der für den Praktiker gebotenen Kürze gelingt es dem Autor, ein umfassendes Kompendium des für Schwurgerichtsverfahren relevanten materiellen Rechts aufzubereiten. Stellvertretend sei nur auf die Darstellung der Konsequenzen einer BGH-Rechtsprechung verwiesen (S. 25 ff.), die den Mord gegenüber dem Totschlag immer noch als selbstständigen Tatbestand ansieht. Stern arbeitet hier die bei der Beteiligung mehrerer Täter sich einstellenden Streitfragen mit einer Prägnanz der Darstellung heraus, die dem Rang renommierter AT-Lehrbücher durchaus gleichkommt. Orientiert an der Rechtsprechung der Strafsenate des BGH gibt Stern eine gut strukturierte Übersicht über die Mordmerkmale, welche - angereichert durch viele forensische Beispiele - hervorragende Ansatzpunkte für die materiellrechtliche Argumentation des Verteidigers bietet.
Umfassend geht Stern sodann (7. Teil, S. 148) auf die verschiedenen an einem Schwurgerichtsverfahren Beteiligten - Mordkommission, Sachverständige, Gerichtsmediziner, psychowissenschaftliche Gutachter sowie Nebenklage - ein; er schildert eindrucksvoll, welche faktischen und rechtlichen Einflussmöglichkeiten sie haben und im Gegenzug - durch welche Aktivitäten der Verteidiger auf die Balance eines fairen Verfahrens hinzuwirken hat.
Wenn Stern in den vorangehenden Kapiteln noch einen globalen Ansatz gewählt hat, um den Leser möglichst umfassend und interdisziplinär für entscheidende Fragestellungen zu sensibilisieren, so konkretisiert er in dem 8. Teil (S. 184 - 362) seine Darstellungsweise und arbeitet den Ablauf eines Kapitalstrafverfahrens in der zeitlichen Gliederung von Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren und der dort auf den Verteidiger wartenden Aufgaben und Herausforderungen ab.
Im Rahmen seiner Darstellung zu notwendigen Sofortmaßnahmen der Verteidigung, insbesondere zur Beweissicherung und den ersten Mandanten- und Angehörigengesprächen, verdeutlicht der Autor durch vermehrte Rückgriffe auf seine Ausführungen zum materiellen Recht (Rücktritt vom Versuch, Affekthandlungen), wie wichtig eine umfassende rechtliche Kompetenz des agierenden Verteidigers ist. Nach einer kritischen Auseinandersetzung mit der Frage nach Verteidigungszielen und -Strategien sowie zur Verteidigung bei vorliegender Untersuchungshaft bzw. Unterbringung (S. 269 - 294) folgt eine ausführliche Darstellung möglicher selbstständiger oder unselbstständiger Beweisverwertungsverbote.
Auf annähernd 50 Seiten findet sich die einschlägige Rechtsprechung zu den verschiedensten denkbaren Verfahrenskonstellationen sowie die entsprechenden Hinweise für ein anwaltliches Vorgehen, um die Beschuldigtenrechte effektiv zur Geltung zu bringen. Daneben widmet sich Stern mit derselben Sorgfalt den verschiedenen Tätigkeiten des Verteidigers, beginnend beispielsweise mit der allgemeinen Mandantenbetreuung, der Akteneinsicht und -analyse, der Begutachtung des Beschuldigten sowie den schwierigen Fragen eines Geständnisses und eines später erfolgenden Geständniswiderrufs. Für die Hauptverhandlung stellt der Verfasser Fragen und Taktik der Zeugenvernehmung und der richterlichen Hinweispflicht nach § 265 StPO in den Mittelpunkt. Den Abschluss bilden dann, bezugnehmend auf zahlreiche vom Autor angesprochene Einzelfragen und ihre Handhabung durch den Verteidiger, 50 Seiten mit anwaltlichen Musterschriftsätzen, die gerade dem noch unerfahrenen Kollegen nützliche und zeitsparende Dienste zu erweisen in der Lage sind.
Zu keiner Zeit lässt Stern einen Zweifel an der Tatsache aufkommen, dass die Verteidigertätigkeit in Schwurgerichtssachen eben nicht nur den von aufrichtiger Reue geplagten oder seine tatsächliche Unschuld immer wieder beteuernden hygienischen (S. 260) Mandanten kennt: Der Verteidiger in Schwurgerichtssachen wird auch auf weniger sympathische Täterpersönlichkeiten treffen, die berechnend und brutal zu Werk gegangen sind und über ihren Raubmord in der Manier eines Bilanzbuchhalters berichten. Fühlt sich der gewählte Verteidiger schockiert und abgestoßen, muss er spätestens jetzt noch einmal überdenken und für sich entscheiden, ob das Mandat tatsächlich übernommen werden soll (S. 208). Zwar steht für Stern im Falle der Mandatsübernahme fest, dass sich der Verteidiger nie zum Büttel des Mandanten machen darf (S. 260). Jedoch hebt er gleichzeitig ebenso zutreffend wie unmissverständlich hervor: Auch dass ein schweres Verbrechen ungesühnt bleibt, wenn der Tatnachweis misslingt, entspricht geltendem Recht und darf die Verteidigung nicht irritieren.
Die fragwürdigen Moralvorstellungen uninformierter Bevölkerungsteile sind ohnehin kein Maßstab. Es bleiben bei genauem Hinsehen eigentlich nur drei beachtliche Aspekte, die den Verteidiger hemmen könnten, wirklich alle Register zu ziehen: die Schranken des Strafgesetzbuchs (Strafvereitelung), der Wille des Beschuldigten und im Einzelfall vom Beschuldigten ausgehende Rückfall bzw. Wiederholungsgefahr (S. 260/261).
Diese beiden Zitate werfen nur ein schmales Schlaglicht auf die mit lakonischer Eindringlichkeit formulierten Passagen Verteidigung eines Schuldigen/Verteidigung eines vorgeblich Unschuldigen. Sie sind ein Glanzstück des gesamten Werks, geprägt durch eine große stilistische Gestaltungskraft und getragen von einem hohen professionellen Ethos. Insgesamt: Sterns Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren ist ein gleichermaßen aufklärendes und spannendes Buch, ein Meisterwerk der Verteidigerliteratur.
Rechtsanwalt Gerhard Strate, Hamburg